PRESSE-ECHO

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Münchner Drehbuchwerkstatt setzt auf Poesie der Stoffideen und kreative Besessenheit

FAZ, 08.11.2003, Nr. 260 / Seite 59

Ob “Good Bye, Lenin” oder die Serie “Rosenheim Cops”, ob “Solo für Klarinette” oder “Der Bergdoktor”. Zu einem wichtigen Teil verantwortlich für die Erfolge der Filme und Serien sind Absolventen der Münchner Drehbuchwerkstatt. Von ihnen stammen die Bücher. Nur die besten und vielversprechendsten Bewerber werden in München genommen. Schon vor Aufnahme in die Drehbuchwerkstatt müssen sie beweisen, daß sie schreiben können. Eine Ausbildung dort ist begehrt: bis zu 600 Bewerbungen hat es für die zehn Plätze schon gegeben. Um die Flut der Interessenten in den Griff zu bekommen, hat die Werkstatt kurzerhand die Formalitäten für die Gestaltung der einzusendenden Unterlagen hochgeschraubt. Im vergangenen Frühjahr waren es aber immerhin noch 170 Bewerber, von denen vierzig zur zweitägigen Auswahltagung eingeladen wurden.

“Während des Kolloquiums wollen wir die kreative Besessenheit der Bewerber aufspüren”, sagt Klaus Schreyer. Der promovierte Politologe und Professor an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) ist einer der beiden Leiter der Münchner Drehbuchwerkstatt. Seine Spezialgebiete: Dokumentarfilm, Fernsehpublizistik, realistischer Spielfilm. Oscar-Preisträgerin Caroline Link hat bei Schreyer ihre Abschlußarbeit gemacht. Bernd Lichtenberg, der das Drehbuch für “Good Bye, Lenin” schrieb, wurde als Stipendiat der Drehbuchwerkstatt von Schreyer betreut.

Die Werkstatt gibt es seit 1989. Träger ist der Förderverein der HFF. Mit der Werkstatt wurde eine ganz besondere Art von Postgraduierten-Studium eingerichtet. Wer in die Drehbuchwerkstatt aufgenommen wird, muß für Kurse und Betreuung keine Gebühren bezahlen. Statt dessen erhält jeder der zehn ausgewählten Kandidaten ein Stipendium in Höhe von insgesamt 6500 Euro. So können auch Autoren zum Zuge kommen, die sich schon eine eigene Existenz aufgebaut haben. Das Durchschnittsalter bei der Drehbuchwerkstatt ist deshalb mit 33 Jahren relativ hoch. Das Alter hat aber einen Vorteil: Lebens- und Schreiberfahrung, die ein guter Drehbuchautor haben muß, bringen die Stipendiaten mit. Daneben seien die Authentizität in der Person und die Poesie der Stoffideen für einen Drehbuchautor wichtig, sagt Schreyer. An genommen wird deshalb meist nur, wer auch vorher schon viel geschrieben hat. Um ihr Talent zum Schreiben zu beweisen, müssen die Bewerber neben dem in freier Form erzählten Lebenslauf drei sogenannte Script-Stoffe einreichen. Eine der eingereichten Ideen wird während der Werkstatt zu einem Drehbuch.

Die Idee zu “Salon Brasil”, die Geschichte einer Brasilianerin, die nach München zu ihrem Freund kommt, der bei seiner Mutter wohnt, hat Beatrice Dossi an der Werkstatt zu einem fertigen Buch ausgearbeitet. Einen Preis hat sie dafür bekommen, das Buch wurde vom BR verfilmt. Für Beatrice Dossi war das Stipendium der Drehbuchwerkstatt ein willkommener Anschluß an ihr Promotionsstudium in Indologie. Schon in der Schule wollte sie unbedingt Schriftstellerin werden und Romane schreiben. Durch eine Freundin erfuhr sie von der Drehbuchwerkstatt. “Bei der Bewerbung war mir klar, das ist das richtige für mich”, sagt die 33 Jahre alte Mutter von zwei Kindern. Anstrengende elf Monate lagen nach der Aufnahme in die Werkstatt vor ihr. In Kursen mit Dozenten aus der Praxis, die sogar aus den Vereinigten Staaten eingeflogen werden, wurden Grundkenntnisse in Dramaturgie, Filmsprache, Produktion und Medienrecht vermittelt. Neben der Betreuung durch Autor und Regisseur Franz Geiger, der ihr bei der Ausarbeitung des Drehbuches zur Seite stand, gab es für Beatrice Dossi die obligatorischen Treffen in den Kleingruppen. In ihnen kommen vier Stipendiaten und ihre Betreuer alle zwei Monate zusammen und sprechen über ihre Drehbücher. Obligatorisch sind an der Drehbuchwerkstatt auch vier Sitzungen im Plenum. “Das ist Mord”, sagt Klaus Schreyer. “Das ist Mord und Totschlag.” Doch lernten die Stipendiaten hier, was es heißt, ein Buch bei einem Sender vorzustellen und zu verteidigen.

Erfolg so gut wie sicher!

Wer ein Stipendium der Drehbuchwerkstatt bekommt, für den ist der Erfolg in der Filmbranche so gut wie sicher. “Die Ausbildung in München ist eine der besten. Wer hier war, hat gute Chancen, es wirklich zu schaffen”, sagt Benedikt Röskau vom Verband der Drehbuchautoren. Das macht er an drei Punkten fest: Die Arbeit sei wirklichkeitsnah, man habe dort die längste Erfahrung in der Ausbildung zum Drehbuchautor, außerdem werde mit hervorragenden Tutoren gearbeitet. Ein bißchen neidvoll blickt Röskau auf die Stipendiaten. Auch er hatte sich beworben, wurde aber nicht genommen. 90 Prozent der Absolventen der Drehbuchwerkstatt arbeiten heute in der Filmbranche. Schließlich wolle man nicht für den Taxi-Beruf ausbilden, sagt Klaus Schreyer nicht ohne Stolz. Beatrice Dossi ist dabei, sich einen festen Platz im deutschen Filmgeschehen zu erkämpfen. Sommerferien hat sie sich in diesem Jahr nicht gegönnt, Wochenenden kennt sie schon lange nicht mehr. Gerade arbeitet sie an einem Drehbuch für Pro7. Ihr großer Traum: Den Luxus haben, einen Stoff zu realisieren, wie er in ihrem Kopf herumgeistert und nicht auf irgendwelche Vorgaben von außen Rücksicht nehmen zu müssen.

Intelligente Filme haben kaum eine Chance

Daß das seit einigen Jahren besonders schwierig ist, zeigt die Statistik. Wurden im Jahre 2000 in Deutschland noch 300 Fernsehfilme gedreht, waren es ein Jahr später nur noch 200. “Hinzu kommt, daß intelligente Filme kaum eine Chance haben”, sagt Klaus Schreyer. Mindestens 50 exzellente Drehbücher seien in den vergangenen Jahren im Rahmen der Drehbuchwerkstatt entstanden. Im Jahr konnten aber nie mehr als eines oder zwei verfilmt werden. Schreyer fordert deshalb, mehr für die Verwertung der Ideen des Autorennachwuchses zu tun. Wem es trotz dieser Widrigkeiten gelungen ist, sein Drehbuch zu verkaufen, für den gibt es bei den privaten Sendern bis zu 50.000 Euro Ausarbeitungshonorar. Damit hat der Autor auch die Rechte an dem Buch abgegeben. Lukrativer können die Wiederholungshonorare der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sein, die je Ausstrahlung etwa 30.000 Euro bezahlen. Die Verdienstmöglichkeiten sind vor allem für die erfreulich, die sich und ihre Arbeit gut verkaufen können. Allen, die sich mit dem Gedanken tragen, Drehbuchautor zu werden, rät Benedikt Röskau aber: “Mach es nur, wenn Du unbedingt schreiben mußt.” Röskau weiß nicht, wann es nach seinem jüngsten Projekt für Sat1, das kürzlich fertig geworden ist, einen Nachfolgeauftrag geben wird. Weil die Arbeit eines Drehbuchautors, der sich oft der Meinung des Produzenten beugen muß, der Kreativität nicht immer freien Lauf läßt, hat sich Friedrich Ani weitgehend aus dem Filmgeschäft zurückgezogen. Ani, preisgekrönter Krimiautor und Stipendiat des vierten Jahrgangs, der unter anderem mit “Tatort” und “Faust” Erfolge feiern konnte, zieht es vor, quer durch Deutschland zu fahren und aus seinem neuesten Krimi vorzulesen.