PRESSE-ECHO

SZ


Begabt, besessen, besonders

Von Tanja Rest

Die Münchner Drehbuchwerkstatt bereitet Erzähltalente auf eine harte Branche vor

Ein Café in der Innenstadt, früher Abend. Mitten im Raum steht eine blonde Frau, die ein bisschen verloren aussieht. Sie schaut zum Eingang, mustert verstohlen die Anwesenden. Offenbar wartet sie auf jemanden. Eine zweite Frau, Mappe unterm Arm, kommt hereingestürzt.

ZWEITE FRAU: Entschuldigung!

ERSTE: Sind Sie Frau. . . ?

ZWEITE: Ja, hallo. Tut mir leid, dass ich so spät bin. Viel los heute. Äh, wollen wir uns dort hinten…?

ERSTE: Ich bin ja mal gespannt. Klar, da hinten ist gut.

ZWEITE: Ein ruhiges Plätzchen.

Könnte so ein gutes Drehbuch anfangen? Hmm, kommt ganz drauf an. Vielleicht ist die verspätete Frau ja Privatdetektivin und hat den Mann der Anderen beschattet, dann wäre es ein Beziehungsdrama. Vielleicht haben sie sich in der Eile auch verwechselt: Die zweite Frau hat einen Termin mit einer potenziellen Klientin, die erste eine Kontaktanzeige in einem Schwulen-Magazin aufgegeben und auf ihr Date gewartet; Riesendurcheinander, und zum Schluss verlieben sie sich doch – dann wäre es eine romantische Komödie. Weil dies aber kein Kino ist, sondern die Realität, ist die Wahrheit viel profaner. Eine Verabredung zum Interview: Zu spät erschienen ist die Journalistin, gewartet hat Andrea Kriegl, 38 Jahre alt, Drehbuchautorin – „in einer guten Phase“, wie sie sagt.

Wie wird man Drehbuchautor?

Wie wird man Drehbuchautor? Auf diese Frage gibt es wahrscheinlich genau so viele Antworten wie Menschen, die mit dieser Kunst ihr Geld verdienen. Bei Andrea Kriegl zum Beispiel hat es damit angefangen, dass sie ihrer fünfjährigen Nichte am Telefon Geschichten erst vorgelesen und dann selbst welche erfunden hat. Sie hat auch schon immer Filme geliebt, aber schreiben, puh, „das war für mich was ganz oben Angesiedeltes“. Es dauerte Jahre, bis die studierte Volkskundlerin den Mut aufbrachte, ihre Bewerbung einzureichen. Drehbuchwerkstatt. „Ein Befreiungsschlag für mich.“

Seit 1989 gibt es dieses Fortbildungsangebot der Hochschule für Fernsehen und Film, unterstützt von der bayerischen Staatskanzlei und dem Bayerischen Rundfunk (www.drehbuchwerkstatt.de). Jeder Teilnehmer muss eine zweistufige Aufnahmeprüfung bewältigen, bekommt dann einen persönlichen Betreuer und, soweit begründet, ein Stipendium von 6500 Euro. Im Laufe eines Jahres lernt er die Grundregeln von Dramaturgie, Filmsprache und Produktion und entwickelt ein eigenes Drehbuch.

Wirklichkeitsnah!

„Wirklichkeitsnah“ nennt Benedikt Röskau vom Verband deutscher Drehbuchautoren das Münchner Institut. „Es ist hierzulande die Werkstatt mit der längsten Erfahrung, mit einer sehr intensiven Betreuung – und dabei nicht so verschult wie andere.“ Rund 80 Prozent der Teilnehmer schaffen hinterher den Sprung in die Branche, machen vielleicht sogar Karriere – Susanne Schneider („Solo für Klarinette“), Hans-Christian Schmid („Nach fünf im Urwald“) und Bernd Lichtenberg („Goodbye Lenin“) zählen zu den Absolventen. Doch der Konkurrenzkampf wird härter. Es gebe, sagt Röskau, keine Krise des Drehbuchs, sondern eine Krise des Programmplatzes. Vor dem Crash des Kirch- Imperiums wurden in Deutschland pro Jahr etwa 300 Drehbücher verfilmt, 2002 waren es noch 200. Statt aufwändiger Spielfilme werden vermehrt Quiz- und Talkshows ins Programm genommen. „Die Chancen für den Nachwuchs sind schlecht. Aber die Drehbuchwerkstatt ist immerhin schon mal ein gutes Sprungbrett.“

Andrea Kriegl bekam einen der begehrten zehn Plätze, 1998 war das. Zu diesem Zeitpunkt regte sich nebelhaft eine einzelne Szene – ein Junge nimmt Abschied von seinen Eltern – und ein riesengroßes Gefühl: Heimweh. Nicht viel. Aber der Anfang von vielem. „Rabenkinder.“ Hören wir ihr einen Moment lang zu.

„Ein armer Bauernjunge: Chrysant, das heißt Goldene Blume, also, Chrysant verlässt seine Eltern und bricht auf zum Kindermarkt ins Schwäbische, um Arbeit zu finden. Das hat es übrigens wirklich gegeben. Er wird aber verschleppt und an ein Bergwerk verkauft, wo er zusammen mit anderen Kindern nach Gold schürfen muss. Er wird der Anführer einer Ausbrecher-Gruppe von Kindern. Der Schwarze Reiter folgt ihnen, und sie erleben unglaubliche Abenteuer, bis sie sich schließlich von dem gestohlenen Gold ein Stück Land kaufen. Es ist ein bisschen wie Moses’ Flucht aus Ägypten, das klassische Heldenabenteuer. Ich hab’ ein totales Märchen draus gemacht.“

Selbstvergessenes Rühren im Espresso, Euphorie im Gesicht, anfängliche Schüchternheit wie weggepustet. Ihr beim Erzählen zuzuschauen, ist ein frohes Erlebnis – wie es einen manchmal halt berührt, wenn ein Mensch sein Herz an eine Sache gehängt und dabei so etwas wie Erfüllung gefunden hat. Ihr Lehrer und Mentor Klaus Schreyer wird es später „Besessenheit im positiven Sinne“ nennen: dieses emotionale Fieber, die völlige Hingabe an den Stoff. Aber Besessenheit tut auch weh. Ein Jahr lang, erzählt Andrea Kriegl, habe sie immer nur an diese Geschichte gedacht, extrem stark mitgelitten, Fluchtgedanken gehabt. Dazu die großen Runden mit den anderen Werkstatt- Schülern. Die den gleichen Kampf kämpften, ebenfalls ihre unfertigen Leinwandfantasien offen legten. Das Gefühl, sich öffentlich nackt auszuziehen. „Selbstzweifel“, sagt sie, „ohne die geht es nicht.“

Achtung auf die 3 B’s

Wenn er einen Drehbuch-Schüler aufnehme, erklärt also Klaus Schreyer, dann achte er immer auf die drei Bs: „Begabt. Besessen. Besonders. Der kreative Außenseiter.“ Schreyer ist gemeinsam mit Wolfgang Längsfeld Leiter der Drehbuchwerkstatt und – Turnschuhe und Schottenkäppi zum Nadelstreifenanzug – selbst eine famos eigenwillige Erscheinung. An den „Rabenkindern“ seiner Schülerin Kriegl habe ihn, mehr noch als die äußere Handlung, das innere Drama beeindruckt. „Man spürte eine ungeheure Wucht, eine ganz große positive Energie, die von diesen Kindern ausgeht. Zauberhaft.“ Doch kaum einer weiß auch besser als Schreyer, dass eine gute Geschichte nicht zwangsläufig im Kino landet. Zwei von zehn Drehbüchern, die innerhalb von drei Jahren verfilmt werden: das pragmatische Jahrgangsziel.

Um die Absolventen beim Start in den Beruf zu unterstützen, pflegt man in der Werkstatt Kontakte zu Produzenten und den Redakteuren der Sendeanstalten. Alle Teilnehmer eines Jahrgangs erhalten die Chance, ihr Drehbuch am Rande des Münchner Filmfests einem Branchenpublikum vorzustellen. Der BR stellt unter der Rubrik „First Movies“ einen festen Programmplatz für Erstlingsfilme zur Verfügung; Regisseure werden zum Teil direkt aus der angeschlossenen Filmhochschule rekrutiert. Ein ganzes Netzwerk für die kommende Generation von Filmerzählern. „Aber ohne die Bildungsinvestition, die das Land Bayern hier leistet“, sagt Schreyer, „wäre die Drehbuchwerkstatt nicht denkbar.“

ZWEITE FRAU: Was ist denn nun geworden aus den „Rabenkindern“?

ERSTE (strahlend, auch immer noch ein wenig erstaunt): Das Buch war mein Türöffner, das haben alle geliebt.

ZWEITE: Wirklich?

ERSTE: Ich hab’ da aber auch wirklich alles reingesteckt.

Andrea Kriegl entwickelt mittlerweile Spielfilm-Stoffe fürs ZDF, sie hat in drei Jahren 14 Exposés verkauft, aber außer einer Folge von „Vater wider Willen“ nochnichts im Fernsehen gesehen. Für die „Rabenkinder“ hat sie damals den Tankred-Dorst-Preis für Nachwuchsautoren bekommen. Ende 2004 soll die Geschichte fürs Kino verfilmt werden. „Ich dachte mal, ich schreib ein Buch, geb’s ab, krieg Geld, und dann wird gedreht. Aber von zehn Stoffen wird vielleicht einer realisiert, und dann sind das immer noch jahrelange Prozesse. “ Sie sagt, das müsse man erstmal aushalten.