PRESSE-ECHO

SZ 14.10.1989


Erst kommt das Handwerk, dann die Kunst

Von Sibylle Storkebaum

Das kleine Einmaleins des Drehbuchschreibens: Erlebnisse bei einem Seminar mit Robert McKee

,As time goes by”, alle Strophen, singt der ältere Herr mit Bauchansatz im orangenen Hemd unterm fahlen Licht des Vortragssaals des Münchner Völkerkundemuseums. Und die 60 Leute, die diesen Klassiker der Filmmusik gerade erst in „Casablanca” gehört und gesehen haben, lauschen ihm fasziniert, ergriffen, hingerissen. Das ist doch Kino, denke ich. so funktioniert’s. Sogar ohne Film.

Gib den Leuten, was sie wollen – aber nicht so, wie sie’s erwarten”, genau nach dieser Maxime fürs Drehbuchschreiben geht Robert McKee auch vor, wenn er als Lehrer für Dramaturgie, “Story Structure”, durch die Welt reist. Er ist Theatermann, Filmautor und -regisseur, aber vor allem Trommler für gute dramaturgische Arbeit. Was er denn selbst so geschrieben hat? Das interessiert nicht: „Was ich bin, ist in diesem Seminar”, sagt er und inhaliert die nächste Zigarette

650 Mark kostete jeden Teilnehmer das dreitägige Seminar, das “Project Independent Film” organisiert hat, eine Investition, die sich amortisieren wird. Denn was McKee anbietet, ist die Vermittlung von Handwerk; Kleines Einmaleins des Drehbuchschreibens, des filmischen Geschichtenerzählens, egal ob für Film oder Fernsehen. Und während manche noch ein wenig mauzen, daß man das ja alles wisse, und wo denn der Eros, die Mystik des Schreibens bleibe, wo Freud und Krakauer, und daß McKee doch wohl dem Kommerzkino sehr, also eigentlich: zu sehr verpflichtet sei – da ist der schon längst zwei Schritte weiter, referiert neueste Erkenntnisse der Wahrnehmungsforschung, bringt alle Stufen der Emotionserregung auf handwerklichem Nenner, auf didaktischem Weg ins Spiel. Und überhaupt: Ist wirklich jemand unter den Zuhörern, der kein Geld mit seinen Filmen verdienen möchte?

McKee strahlt diese attraktive amerikanische Nüchternheit aus. Erstmal muß die Struktur stimmen, das Handwerk, dann kann die Kunst kommen, aus einem guten einen sehr guten Film machen. ..Geschichten müssen fitmachen fürs Leben”, mahnt er. „Sie müssen nicht Leben, sondern wie das Leben sein – den freuten das anbieten, was sie selbst aus ihrem eigenen Leben nicht herausholen können.”

Wenn er eine Szene vorspielt, ist völlig klar, was da auf der Leinwand passiert; manches kennt man nicht, anderes ist auf einmal wieder präsent. McKee will eine Unmenge von Stoff unbedingt vermitteln, da sind ihm Fragen selten angenehm. Aber er appelliert an die Professionalität der Studenten: Jeder Schauspieler. Tänzer. Musiker, sagt er zum Beispiel, trainiere, übe täglich. Autoren? Pah! Immer noch meinten viele, Schreiben sei Naturbegabung. ..Gehen Sie mit dem Notizblock ins Kino! Analysieren Sie Videos, stoppen Sie die einzelnen Szenen und Aktionen aus, achten Sie auf die Handlung, die nicht in Worten erzählt, sondern in Bildern, in Körpersprache die wirkliche Geschichte ausmacht. Nur so, durch ständige Übung, werden Sie ein guter Autor…”

McKee belegt die Wichtigkeit des letzten Drittels eines Films, nicht der Anfang ist entscheidend, sondern das Ende. Er fordert seine Zuhörer auf. frei zu bleiben und als unabhängige Menschen und Autoren mit den Auttraggebern zu verhandeln. Die Geschichte, my friends, ist das Wichtigste – ohne Geschichte gibt es keinen Film, ohne gute Story erst recht keinen guten Film. „Was, Sie sitzen gelähmt vorm weißen Papier, Ihnen fällt nichts ein?” Empathisches Seufzen geht durch die Reihen. „Gehen Sie in die Bibliothek! Lesen Sie! Alles ist schon mal beschrieben worden, und kein Autor hat genügend Phantasie, um alles und immer wieder selbst auszudenken.” McKee motiviert, macht Mut. prägt sich ein. Er sollte Pflichtgast bei Redakteurs- und Produzenten-Schulungen werden.

Er ist teuer, Georg Hoffmann vom „Project Independent Film” kann ein Lied seiner Alpträume singen: Kommen genügend Teilnehmer, damit ich die Garantiesumme aufbringen kann? Sind die Sponsoren großzügig genug? Diesmal hat’s gepaßt. „Project Independent Film” wurde vor einem Jahr nach einem McKee Seminar gegründet und hat sich zu einer Diskussions- und Service-Organisation für Filmemacher aller Sparten entwickelt. Stipendiaten der „Drehbuchwerkstatt”, einer Gründung von Hochschule für Fernsehen und Film, Bavaria, Bayerischem Rundfunk und dem Freistaat Bayern, nahmen am Seminar teil, gaben dem Meister ihre Treatments. Er, zerlegte sie, nach-Strich und Faden.